Motto

Wer wagt es, sich den donnernden Zügen entgegen zu stellen?
Die kleinen Blümchen zwischen den Eisenbahnschwellen.
Erich Kästner

Montag, 30. November 2009

Erneute Warnung vor Baufehlern

von Prof.i.R.
Dr. habil. S. Grunert
Diplomgeologe
Wie schwer es ist, den komplexen Charakter von Schadprozessen rechtzeitig im vollen Umfang zu erkennen, lehren Unfälle, wie das Eisenbahnunglück von Eschede, der Grundbruch an dem Archiv von Köln, die Rutschung bei der Flutung des Tagebaus von Nachterstedt.
Der Bahndamm von Neucoswig soll für höhere Belastungen ertüchtigt werden. Die hier behandelte Strecke betrifft den Abschnitt zwischen der Brücke über die Neucoswiger Straße und der Brücke über die Dresdner Straße (ABS Leipzig-Dresden, Bauabschnitt 2105 - 2107 (anteilig), Abzweig AZ (a) - Weinböhla (Abschnitt km 12,238 DE bis 12,988 DE)). Der Damm erreicht hier eine Höhe bis zu 11 m. Bei bodenmechanischen Untersuchungen ergaben Böschungsbruchberechnungen Sicherheitsfaktoren zwischen 1,07 und 1,24, gefordert sind Sicherheiten von über 1,4 (Quelle 2). Es soll hier nicht die Frage gestellt werden, entsprach der normgerechte Einbau der Proben in die Prüfmaschinen bei der Messung der Berechnungsparameter im Labor der tatsächlichen Lagerungsdichte im Damm. Der Damm soll stabilisiert werden.

Konstruktion des Dammes
„Zur Ertüchtigung werden folgende Varianten für konstruktive Maßnahmen vorgeschlagen:
  1. Dammverbreiterung mit dem Ziel der Böschungsabflachung: Unter den Bedingungen der Vollsperrung und bei ausreichend Platz am Dammfuß wird das als Vorzugsvariante angesehen.
  2. Einbau von Stützkonstruktionen am Dammfuß. Bevorzugt sollten Winkelstützelemente eingebaut werden, auch Spundwände sind möglich, dazu Abflachung der Böschungen zwischen Böschungsschulter und Oberkante Stützelement.
  3. Vernagelung der Böschungen: Vorteil der Vernagelung ist, die aktuelle Geometrie wird beibehalten und es entstehen keine Kosten für die Instandhaltung.“ (Quelle 2)

„ ... Rückbau des alten Dammes und Wiederaufbau des gleichen Materials als zementstabilisierter Erdbaustoff ... . ... Es entsteht bei Zugabe der geplanten 2 % Zement ein Erdbaustoff, der besser zu verdichten ist und zusätzlich zu seinem Reibungswinkel eine nennenswerte Kohäsion langfristig gewährleistet.“ (Quelle 1)

Oh! Ist das bewiesen? Gehen hier die Unterzeichnenden (Herr Dipl.-Ing. L. Diener und Frau Dipl.-Geol. A. Ehle) ein nicht verantwortbares Risiko ein?

Tatsache ist, der mit Zement verbesserte Erdstoff hat eine Kohäsion von 15 kN/m² gegenüber dem unverbesserten, der eine Kohäsion von 0 kN/m² hat, aber mit 30° hat der verbesserte Erdstoff einen beachtenswert niedrigeren Reibungswinkel als der unverbesserte Erdstoff, der einen Reibungswinkel von 31,5° hat. (Quelle 1)

Der „verbesserte Erdstoff“ wird ein anderes Bruchverhalten zeigen als der unverbesserte. Der Damm wirkt als fester Körper und wird nach der Mohr’schen Bruchtheorie brechen. Aber schon beim Einbau und beim Abbinden können sich in ihm Trennflächen bilden. Auf den Trennflächen muss man mit einer Kohäsion von 0 kN/m² und einem Reibungswinkel von 30° rechnen. Nahezu unmöglich ist es, die Raumorientierung der Trennflächen abzuschätzen, so dass auch ein Standsicherheitsnachweis fast unmöglich ist. Rechtzeitig erkennen kann man das Anbahnen eines solchen Bruches kaum.

Ganz unsicher erscheint das Langzeitverhalten der Zementbindung in dem stabilisierten Erdstoff. Der stabilisierte Erdstoff wird porös sein. Das bedeutet, in ihm findet Wasser-zirkulation statt, die zwangsläufig Lösungs- und Ausfällungsprozesse bewirken wird. Hinzu kommt eine mögliche Alkaligefährdung des Erdstoffes, da Sand aus einer pleistozänen glazigenen Sanderfläche viel Feuerstein enthalten kann. Es besteht die Gefahr, dass die Zementbindung geschädigt und damit die Kohäsion abgebaut oder gar aufgehoben wird. Was verbleibt, ist ein Dammmaterial mit einem niedrigeren Reibungswinkel als dem des ursprünglichen Dammes. Es besteht die Gefahr, dass der Damm seine Standsicherheit einbüßt. Ein möglicher Bruch wird sich nur schwer rechtzeitig erkennen lassen.

Baugrund des Dammes
Der hier betrachtete Abschnitt des alten Dammes steht im nordwestlichen Teil auf der Heidesandterrasse, im südöstlichen dem Teil vermutlich unmittelbar auf dem Tallehm. Der Tallehm hat zum Zeitpunkt der Untersuchungen einen Reibungswinkel von 27,5° und eine Kohäsion von 5 kN/m² (Quelle 2). Bei Wasseraufnahme mindern sich Reibungswinkel und Kohäsion bekanntlich ab. Im Extremfall können sie gegen Null gehen. Da das Coswiger Wasserwerk stillgelegt worden ist, steigt zur Zeit das Grundwasser an - auch im Bereich des Dammes. Steigt das Grundwasser bis in den Tallehm, dann besteht die Gefahr, dass der Lehm weich wird und unter dem Damm ausgequetscht wird. Auch so ein Bruch kann spontan eintreten. Auf älteren Messtischblättern (z.B.: Topogr. Karte Nr. 4847 (1 : 25 000) Ausgabe 1954, sind nordöstlich und südwestlich des Dammes offene Wasserflächen - die Lachen - eingetragen. Die Straßenbahnlinie folgt diesen Niederungen. Heute sind diese Hohlformen verfüllt. In den 40er Jahren des 20. Jh. existierten sie noch als kleine Teiche. Sie zeugen davon, dass damals der Grundwasserspiegel dicht unter der Geländeoberfläche lag - und dass er diesen Stand auch wieder erreichen kann - besonders bei einem länger anhaltenden Hochwasser.

Schlussfolgerung
Zweifellos ergäbe ein „Rückbau des alten Dammes und Wiederaufbau des gleichen Materials als zementstabilisierter Erdbaustoff“ eine interessante Baustelle. Das Experiment bleibt aber sehr risikovoll, solange die oben aufgeworfenen Bedenken nicht exakt als unbegründet widerlegt worden sind. Der damit verbundene Aufwand ist kaum zu rechtfertigen.
Verbleibt Variante 2.: Einbau von Stützkonstruktionen am Dammfuß. ... , ... Spundwände ... , dazu Abflachung der Böschungen zwischen Böschungsschulter und Oberkante Stützelement.
Vorteile dieser Lösung: Damm und Dammbaugrund werden beide stabilisiert.

Persönliche Anmerkung: Von dem Gedanken, ein Jahr lang Rammarbeiten erdulden zu müssen, bin ich wahrlich nicht begeistert. Ich halte es aber für meine Pflicht, auf die Risiken des Projektes hinzuweisen.

Quellen:
1.)
DR. SPANG, INGENIEURGESELLSCHAFT FÜR BAUWESEN; GEOLOGIE UND UMWELTTECHNIK MBH. DB ProjektBau GmbH, Büro Freiberg Regionalbereich Südost, Projekt-Nr. P 30.2481. ABS Leipzig-Dresden, Bauabschnitt 2105 - 2107 (anteilig), Abzweig AZ (a) - Weinböhla Abschnitt km 12,238 DE bis 12,988 DE. Projekt-Nr. P30.2481. Begründung der Notwendigkeit der Grundinstandsetzung des Bahndammes. 29.10.2009
2.)
DB ProjektBau GmbH, Niederlassung Südost, Projektzentrum Dresden, Am Brauhaus 1, 01099 Dresden, Projekt-Nr. 22.1452-N4, Büro Freiberg, 16.02.2004. ABS Leipzig - Dresden, Bauabschnitt 2107- Beurteilung der Standsicherheit von Böschungen -Anhang A2, Streckenabschnitt km 11,65 DE bis km 13,80 DE,
Seite 15/A2 u. 16/A2

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